Presse

16. 07. 2005

DieWelt.de (Von Kai Luehrs-Kaiser)

Horowitz in Herne, Pogorelich im Pott

Seit 10 Jahren blht an der Ruhr das grte Klavierfestival der Welt - nach dem "Ohnesorg-Prinzip"

Ein Abwasserkanal. Ein Autobahnpfeiler. Pampa eben. Mittendrin immer - das quietschrote Klavier. Die Fotoserie, mit der das Klavier-Festival Ruhr fr sich wirbt, ist ironischer Programmreflex. Seit zehn Jahren organisiert Franz Xaver Ohnesorg Klavierabende nach dem Motto "Horowitz in Herne". Bei ihm spielen Brendel in Bottrop und Pogorelich im Pott. "Kulturelle Heimatkunde" nennt das der 57jhrige. Und scheint als Fremdenfhrer mit einem Mal wieder handzahm zu sein.

Der Ex-Intendant der Berliner Philharmoniker, seit 1. Juni als Geschftsfhrer des Initiativkreises Ruhrgebiet fest bestallt, hat nach seinem Karriere-Crash 2002 neu Fu gefat. "Meine Mission in Berlin war erfllt", sagt Ohnesorg heute. Die Turbo-Erneuerung der Berliner Philharmoniker, die Umwandlung in eine Stiftung gelang. Der Chef aber stolperte mit Aplomb.

"Ich habe mich selbst berflssig gemacht", so Ohnesorg jetzt. "Kein Zufall, da die Berliner Philharmoniker bis heute keinen Nachfolger gefunden haben. Sie brauchen keinen." Tatschlich schimpfen in Berlin Ex-Mitarbeiter noch immer auf "FXO" (whrend alle Knstler ihn lieben). Schon als Leiter der Carnegie-Hall, an der er scheiterte, nannte man ihn "The Beast" und mobbte ihn treffsicher ins Aus. Das Ruhrgebiet aber und Kln, wo er 16 Jahre lang Grndungsintendant der Philharmonie war, sind einfach Ohnesorg-Revier. Als Kulturberater machte er sich unlngst fr Jrgen Rttgers stark. Als Leiter des Klavier-Festivals blickt er auf zehn erstaunliche Jahre zurck. Sagenhafte 310 Pianisten hat er seit 1996 durchs Revier gefhrt. Argerich, Brendel, Pogorelich, Pollini: Er hat sie alle gehabt - und hat sie fast jedes Jahr wieder.

Um das "Prinzip Ohnesorg" zu verstehen, mu man erlebt haben, wie Ohnesorg zrtlich die Lippen spitzt, wenn er das Wort "Duisburg" ausspricht. Genlich, verfhrerisch, so wie andere Leute "Amalfi", "Bad Ischl" oder "Bora Bora" sagen. Soeben empfngt er Pierre Boulez, Trger des Festival-Preises, in der Geblsehalle eines ehemaligen Stahlwerks. Ein aparter Gegensatz: Der honorige Neutner steht vor rugeschwrzten Wnden, wo sogleich Pierre-Laurent Aimard sein pianistisches Gesamtwerk spielen wird. Er lt sich von Ohnesorg in den hchsten Tnen loben. Boulez strahlt. Doch noch mehr strahlen die Duisburger Brger im Saal. Ihnen teilt Ohnesorg mit, da sie an einem besonders schnen Ort dieser Welt leben. Seine geheime Botschaft: "Ihr seid toll, hier ist's schn, und zum Beweis seht, wie gern Pierre Boulez bei uns ist."

Wer Ohnesorg bei der Arbeit beobachtet, sieht die Vergeblichkeit aller Crossover-Anbiederung und poppigen Klassik-Vermarktung. Der Bckerssohn aus Oberbayern holt die Leute da ab, wo sie wohnen, und sagt ihnen: "Hier ist die Welt." Erlsung in der Kunst, das wrde man sonst irgendwo zwischen Goethe und Richard Wagner angesiedelt. Es lebt heute in "FXO". Kein Wunder, da der auf Schritt und Tritt von Besuchern beglckwnscht wird wie ein Schwergewichtsboxer auf dem Weg zum Ring.

70 Konzerte verkauft Ohnesorg alljhrlich an 16 Orten. Mit Superstars wie Lang Lang, Auenseitern wie Claude Frank und Jazz-Gren wie Chick Corea. Berhmtheiten und Nachwchsler allerorten. Bei Johannes Maria Stauds "Peras", von Anika Vavic mit zarter Dringlichkeit uraufgefhrt, wischt er sogar Berlin keck eins aus. Nur Tage nach der Urauffhrung von Stauds "Apeiron" (unter Rattle in Berlin) findet nirgendwo anders als in Herten bei Recklinghausen die Komplettierung der zwei zusammengehrigen Stcke statt. Natrlich bei Ohnesorg. Unter beiden Kompositionsauftrgen habe seine Unterschrift gestanden, kokettiert der. Ein Fuchs, wer Bses dabei denkt.

Mit dem sponsorenstarken, das darbende Selbstbewutsein der Flchenprovinz geschickt nutzenden Festival ist Ohnesorg ber die Jahre ein perfekt austariertes, scharf poliertes und mit Urauffhrungen verjngtes Landesereignis gelungen. Es bezieht seine Ausstrahlung gerade aus dem geschickt vermarkteten Bekenntnis, aus nichts und fr nichts da zu sein als die Region.

Als Ohnesorg nach Stauds Urauffhrung den Leuten sagt, sie knnten das Stck, wenn sie wollen, gern gleich noch einmal hren, da staunt man als Zugereister und denkt: So scharf sind die Menschen auf Neutnerisches eigentlich nicht ... Was geschieht? Im Saal lst sich auf Ohnesorgs Angebot hin ein begeistertes "Ja! Ja!" aus den Kehlen. Es klingt, als werde Hans Rosenthal gleich aus der "Dalli-Dalli"-Kulisse springen. Nach einem Profi-Crashkurs ohnegleichen scheint Franz Xaver Ohnesorg inzwischen da angekommen zu sein, wo man ihn wirklich liebt. Der Pott strahlt. Essen freut sich auf Pogorelich und Mlheim auf Yundi Li. bis 19.8., Karten: (0180) 500 18 12

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