Presse
30. 07. 2013
Die Tastenvirtuosin als melancholische Eremitin
Die aus Belgrad stammende Pianistin Anika Vavic spielt beim diesjährigen Carinthischen Sommer Schtschedrins viertes Klavierkonzert
Ein Gespräch mit der Künstlerin über das Werk und Vavics Arbeitswelt.
Wien - Zum Gespräch ins Innenstadtcafé kommt sie in einem wunderschönen blauen Kleid und mit einem wunderschönen Dackel - dem österreichischen Champion seiner Rasse. Anika Vavic wird beim Carinthischen Sommer Rodion Schtschedrins Viertes Klavierkonzert spielen, als österreichische Erstaufführung, mit Waleri Gergijew und dem Orchester des Mariinski-Theaters. Darüber gilt es zu reden wie auch über ihre Karriere. Vavic spricht im ruhigen Tonfall, in welchem auch Mattheit und Melancholie mitklingen.
Vavic hat Gergijew 2005 erstmals vorgespielt, der Stardirigent hat sie sofort für das Jahr darauf zu den Weißen Nächten in St. Petersburg eingeladen - welches für die gebürtige Belgraderin in den Folgejahren fast zum liebsten Auftrittsort werden sollte: "In Russland gibt es noch einen Hunger nach Kultur, das spürt man." Eine regelmäßige Zusammenarbeit mit Gergijew war die Folge, und auch die Idee, eines der Klavierkonzerte von Schtschedrin zu machen, kam vom russischen Dirigenten. Zuerst waren Nummer eins und drei im Gespräch; bei einem Treffen in München, Schtschedrins deutschem Wohnsitz, erschien der Komponist aber mit der Partitur seines vierten Klavierkonzerts.
Ein Auftragswerk von Steinway, 1992 in New York uraufgeführt, selten gespielt, da extrem schwierig: "Es ist ein Werk, an dem man sehr hart arbeiten muss. Das Stück ist fast klassisch gearbeitet, was die Themenaufstellung anbelangt, der erste der zwei Sätze beginnt mit einem kurzen Motiv, einer Zelle, aus der sich das Material entwickelt."
Phrasen à la Chopin
Die Farben des Orchesterparts seien im ersten Satz düster, es gebe Dialoge zwischen Klavier und Bläsern, von Klangflächen der Streicher grundiert. Das Klavier habe auch einige kadenzartige Abschnitte, Schtschedrin habe vorgeschlagen, die lyrischen Phrasen à la Chopin zu interpretieren. "Im zweiten Satz dreht die Stimmung, es werden russische Ostern geschildert. Da entwickelt sich alles zum orgiastischen Fest!"
Vor drei Jahren hat sie das Werk zum ersten Mal gespielt, in St. Petersburg und in Helsinki, in Anwesenheit Schtschedrins. Den 80-jährigen Komponisten und Exsekretär des russischen Komponistenverbandes beschreibt Vavic als "sehr eleganten Menschen, er hat einen spitzen Humor". Wie sah die Zusammenarbeit aus? "Er hat mir viel über seine Sicht des Werks erzählt, er ist selbst Pianist und auf diesem Gebiet eine Autorität. Aber er hat mir auch Freiheiten gelassen." Und wie ist Gergijew so? "Ein impulsiver Künstler, er reißt einen mit auf der Bühne, man bekommt Gänsehaut, vergisst alles um einen herum."
Auf ihren ersten Auftritt beim Carinthischen Sommer, gleichzeitig auch ihren ersten mit Waleri Gergijew in Österreich, freut sich Vavic sehr. Kärnten liegt genau zwischen ihrer ersten Heimat Belgrad und der zweiten, Wien. In die österreichische Hauptstadt war die Serbin 16-jährig gezogen, um Klavier zu studieren, bei Noel Flores. Die Welt an der Musikhochschule wurde ihr bald zu eng, sie suchte künstlerische Impulse bei Lazar Berman, bei Mstislav Rostropowitsch. 2001 gewann sie den Wiener Steinway-Wettbewerb, 2003 konzertierte sie in der Rising-Star-Serie in den renommiertesten Konzerthäusern diesseits und jenseits des Atlantiks.
"Definitiv ein Highlight" sei heuer ihr Debüt mit dem London Philharmonic. Bei den Proms spielt sie Ende August vor 6500 Zuhörern unter Wladimir Jurowski Prokofiews drittes Klavierkonzert - "auch so ein Monster". Zuletzt hat sie es mit den Münchner Philharmonikern gespielt - mit ihnen wird Vavic 2014 Skrjabins Klavierkonzert interpretieren.
Konzerte mit Orchester, Soloabend, Kammermusik - wie gewichtet sie das eigentlich? "Ich habe früher viele Recitals gespielt - was ich einfach sehr gern mache, man ist da freier bei der Stückeauswahl. In der letzten Zeit sind fantastische Orchestereinladungen gekommen, jetzt wird das mehr." Kammermusik hat sie sehr gern mit den Capucon-Brüdern gespielt, zuletzt mit Matthias Schorn, dem Soloklarinettisten der Wiener Philharmoniker.
Unterrichten, interessiert sie das? "Im Moment bin ich noch durstig, auf der Bühne über mich mehr zu erfahren." Diese unerhörte Disziplin, die man in ihrem Job braucht - hadert sie damit? Im Gegenteil: "In Belgrad an der Musikschule hatte ich dreimal die Woche Klavierstunde", so Vavic. "Als ich in Wien dann nur noch einmal die Woche Unterricht hatte: Das war hart! Dieser Verlusts des Drills, des Korsetts ..." Andererseits: Das "Eremitendasein" als Pianistin sei schwierig, das viele Reisen auch: "Ein schweres Leben, nicht?" Sagt sie mit einem Lächeln und leiser Melancholie. (Stefan Ender, DER STANDARD, 30.7.2013)
31. 7., Congress Center Villach
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